der rote schnürsenkel

Die Grillen zirpten, leichter Wind spielte sachte mit meinen Haaren und Vögel flogen übermütig durch die Luft.

Ein traumhafter Tag. Ich schloss die Augen und lächelte. Die Sonnenstrahlen wärmten meine Wangen, feinste Wassertropfen des prächtigen Brunnens von neben an sprühten prickelnd auf meine Haut.

 

Ich seufzte, öffnete die Augen wieder und betrachtete den famosen Bauerngarten.

Was für ein schöner, friedlicher Ort! Ein perfekter Arbeitsplatz!

 

Meine gute Stimmung war von kurzer Dauer – als ich zum Schloss zurück kam, ich war erst seit Kurzem Serviererin im Café des Schlossmuseums, stand meine Chefin bereits in der Tür und blickte mich kreidebleich und mit aufgerissenen Augen an.

 

Erschrocken schaute ich auf die Uhr. War ich zu spät? Ich atmete aus. Nein, alles gut.

«Was ist passiert?»

«Es wurde Geld aus der Kasse geklaut.» Jetzt presste sie die Augen zusammen.

Ich schluckte leer.

«Ich kann Ihnen versichern, . . .»

«Ihr Wort genügt mit nicht», fauchte sie, «Sie haben heute ihren dritten Tag und schon ist der Umschlag mit dem Umsatz von gestern weg!»

«Ich war es nicht! Der Umschlag lag heute, als ich die Kasse aufschloss, wie immer da!»

«Das kann jeder sagen. So lange Sie nichts beweisen können, sind Sie für mich die Hauptverdächtige.»

Die Hitze stieg mir vom Bauch in den Kopf. Na das konnte ja heiter werden. Neuer Job und bereits des Diebstahls beschuldigt!

 

Plötzlich fiel mir ein, dass ich heute Morgen, als ich die Kasse aufschloss, auf dem Boden vor der Theke einen roten Schnürsenkel gesehen hatte. Ich vermutete, jemand hätte den verloren und hab nicht weiter darüber nachgedacht.

 

«So, sie bleiben da, ich werde jetzt die Polizei anrufen», meinte die Chefin und meine Knie wurden weich.

Ich wollte soeben das mit dem Schnürsenkel sagen, als die Tür des Cafés aufschlug. Eine alte, gebrechliche Dame stieß langsam und umständlich die Glastüre auf. Als ich ihr zur Hilfe eilte, sah ich einen jungen Mann, der draußen soeben vorbeihastete. Er trug grüne Turnschuhe mit roten Schnürsenkeln. Der eine war abgerissen . . .

© Milena Tebiri

Besuch

«Also was muss ich jetzt tun?» Thomas blickte auf das Glas und die 26 Buchstaben, die in einem Kreis angeordnet um dieses herum auf dem Boden lagen.

«Wir halten jetzt alle den Finger auf das Glas und dann rufe ich einen Geist herbei.» Ich legte demonstrativ meinen rechten Zeigefinger aufs Glas.

«Und was passiert dann? Das ist ziemlich freaky.» Lisa kicherte nervös.

«Ach kommt, das ist doch bloß ein Spiel, nur ein bisschen Gläserrücken. Wir denken, das Glas bewege sich von alleine, dabei tun wir das doch mit ganz kleinen, unbemerkten Muskelreflexen. Ist keine Hexerei. So, Finger drauf!» Ich blickte Thomas und Lisa auffordernd an.

Langsam legte Lisa ihren Finger neben mir aufs Glas. Ihre Hand zitterte leicht. Thomas machte es ihr nach und blickte starr gerade aus.

«Ok, dann lasst uns mal starten.» Niemand sagte etwas.

«Geist, bist du da?»

Lisas Hand begann noch mehr zu zittern.

«Milli, komm, lass uns was anderes machen, vielleicht einen Film schauen, ich mag das…»

In dem Moment begann sich das Glas langsam zu bewegen.

«Es funktioniert! So cool! Das Glas schiebt sich auf das J zu!», rief Thomas und beugte sich weiter vor.

«Aber, wir schieben das doch gar nicht!», Lisas Stimme war zwei Oktaven höher als normal.

«Das ist eben dieser Effekt. Schau, jetzt schiebt sich das Glas auf A. Also JA.» Zufrieden schaute ich die beiden an.

*Der Geist ist also hier?» Thomas rieb sich mit der anderen Hand aufgeregt die Nase.

«Ja. Und jetzt kommt eine wichtige Frage.» Ich lächelte wissend.

Lisa starrte mich mit grossen Augen an.

«Bist du ein guter oder böser Geist?» flüsterte ich. Totenstille. Niemand wagte es zu atmen.

Wir sassen da und hielten den Finger auf das Glas und warteten.

Dann, ganz langsam, begann sich das Glas zu bewegen. Mit leisem Kratzen schob es sich wie von selbst auf dem Boden entlang und blieb über dem B stehen. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Irgendwie fühlte sich das alles nicht mehr so cool an.

Plötzlich, ohne Vorwarnung, zog das Glas ruckartig aufs Ö.

Lisa schrie auf, Thomas zog die Hand weg, als hätte er sich verbrannt.

Mit einem lauten Knall schlug eine Türe in der Wohnung zu.

«Ok, das reicht, ich hab genug.» Lisa sprang auf.

«Jetzt wart doch, da hat’s irgendwo eine Türe zugeschlagen», versuchte ich sie zu beruhigen.

«Lisa hat recht, das ist mir jetzt doch zu seltsam, lass uns morgen telefonieren, ich geh nach Hause». Auch Thomas war aufgestanden und schielte noch immer zum Glas.

«Fährst du mich nach Hause?» Lisa drückte sich an Thomas.

«Klar. Machs gut, Milli, bis morgen».

«Ok, schade, aber dann sehen wir uns morgen, kommt gut nach Hause, Tschüss ihr beiden.» Ich zog die Tür zu. Plötzlich fühlte ich mich beobachtet. Ich drehte mich hastig um.

Meine Katze strich mir um die Beine und miaute.

«Hej, meine Kleine!» Ich hob sie auf, sie schnurrte.

Zögernd ging ich zum Zimmer zurück. Ich wagte kaum, das Licht anzumachen. Es sah alles wie immer aus. Der Tisch, der Stuhl, mein Bett, der Schrank. Und doch, etwas war anders. Meine Katze spannte sich an und hörte auf zu schnurren. Ich setzte sie auf den Boden. Sie starrte bewegungslos ins Zimmer. Genau dorthin, wo das Glas noch auf dem Boden lag. Es kostete mich grosse Überwindung, schnell hinzurennen, die Kerze auszublasen und das Glas richtig hinzustellen. Etwas kaltes legte sich auf meine Haut, schnürte mein Herzen zu. Ich schreckte zurück und floh aus dem Zimmer.

Meine Katze stand unverändert da und starrte noch immer ins Zimmer. Als sie zu fauchen begann, bekam ich Panik. Ich schnappte sie mir und schlug meine Zimmertüre zu. In dieser Nacht schlief ich in einem anderen Zimmer und machte einen grossen Bogen um meine Tür.

© Milena Tebiri