Entfremdet und zeitlos
Filmkritik zu Lost in Translation
von Milena Tebiri
Sophia Coppolas Film Lost in Translation besticht durch seine atmosphärische Dichte, besondere Intensität und dem sanften Widerwillen, sich den gängigen Hollywood-Konventionen zu fügen. Dabei ist der Film sehr wohl eine amerikanische Produktion und der Vater der Regisseurin, Francis Ford Coppola, eine bekannte Grösse in der US-Filmbranche (“The Godfather“ 1972) . Was macht Lost in Translation so speziell? In einem Hollywood-Film werden die Figuren vor allem durch ihr Handeln gezeichnet. In Lost in Translation passiert kaum etwas. Die Protagonisten tun mehrheitlich nichts, sie schlafen, sitzen herum, sie sprechen nicht mal sonderlich viel. Und doch erhalten sie im Laufe des Films eine Tiefe, die berührt.
In der Zwischenwelt
Die Handlung des Films ist schnell erzählt: Die junge amerikanische Philosophiestudentin Charlotte, seit knapp zwei Jahren verheiratet, trifft in einem noblen Hotel in Tokio auf den alternden Schauspieler Bob Harris. Er spielt bei einem japanischen Whiskey-Werbespot mit, eine demütigende Angelegenheit – aber ihn lockt das Geld. Bob und Charlotte fühlen sich allein gelassen, fremd und Jetlag-geplagt. Bei beiden scheint der Funke in der Ehe erloschen zu sein. Bob ist seit über 20 Jahren mit seiner Frau in Amerika verheiratet. Statt Liebesbriefe schickt sie ihm ein Paket mit Teppichproben für seine neue Büroausstattung. Charlotte ihrerseits sieht man kaum in einer gemeinsamen Szene mit John, ihrem Ehemann. Er ist ein gefragter Fotograf, der entweder die meiste Zeit unterwegs ist und sie alleine im Hotel lässt, oder schläft, wenn er mal da ist. Bob und Charlotte sitzen im gleichen Boot, beide erkennen ihre Verzweiflung und Einsamkeit. Sie bewegen sich im Hotel wie in einem eigenen Kosmos, entfremdet nicht nur von der unmittelbaren Umwelt, Japans Metropole, sondern auch von den Menschen, die ihnen am nächsten sein sollten. Hier fühlen sie sich von einander angezogen. Wie unter Wasser scheinen sie zu schweben, alles wirkt träge, abgedämpft, anders. Sie schaffen es nicht, ihr neues Leben in die fremde Sprache zu übersetzen und bleiben in einer Zwischenwelt hängen, dem Hotel.
Kaum Handlung
Lost in Translation spricht eine verhaltene Sprache: Lange Einstellungen der Hotelzimmer, dunkle, kalte Farben dominieren, vor allem Blau, sei es der Swimming Pool, das kühle Flackern des Fernsehers oder das Grossstadtlicht. Die Handlungen sind spärlich, es fallen nur vereinzelt Sätze, die in der Luft zu hängen scheinen, dann wieder Schweigen, Blicke. Nachdem Bob eine Nacht mit einer anderen Frau verbracht hat, wäre eine Auseinandersetzung zu erwarten. Doch Charlotte, als sie es erfährt, steht da und schaut Bob nur an. Schnitt, sie sitzen in einem japanischen Restaurant und schweigen sich eisern an. Bis Charlotte ihm wortlos vergibt. Sophia Coppola lässt ihre Figuren nicht aus Angst vor schwachen Dialogen schweigen, im Gegenteil: Die subtil gesetzten Gespräche wirken authentisch. Es verwundert nicht, hat die Regisseurin 2003 einen Oskar für das beste Originaldrehbuch erhalten.
Reissendes Nachtleben
Vieles in Lost in Translation bleibt angedeutet, auch die Zuneigung, die eventuelle Liebe zwischen Charlotte und Bob. Sie kriegt nur Nahrung durch ein kurzes Berühren der Hand, ein Streicheln des Fusses. Wirkt die Geschichte in der ersten Hälfte des Films wie ein stehendes Gewässer, beginnt sie in der zweiten Hälfte zu fliessen. Bob und Charlotte brechen aus ihrer Lethargie aus und stürzen sich in Tokios Nachtleben. Aber auch hier wird die Spannung nicht primär durch Handlung erzeugt. Die Protagonisten verschwinden für einige Sequenzen von der Bildfläche und die Kamera konzentriert sich auf die Grossstadt. Sophia Coppolas Hand führt sicher und gekonnt in die Ausgangsstimmung Tokios ein. Es ist klar erkennbar: Sie war schon mehrere Male dort, die Stadt ist ihr vertraut. Die Atmosphäre entfaltet sich wuchtig in schnell wechselnden, clipartigen Bildern. Das Tempo nimmt zu, die Musik wird lauter, basslastiger, eine Einstellung jagt die andere, ein pulsierender Tanz aus Tokioszenen. Doch nicht lange und Charlotte und Bob finden sich ausserhalb des Rummels wieder. Leicht resigniert aber zufrieden sitzen sie da und schweigen. Sobald die Protagonisten wieder im Hotel sind, ist die mittlerweile schon vertraute Zeitlosigkeit wiederhergestellt - und der Zuschauer fühlt sich zu Hause.
Natürliche Tragikomik
Für die Protagonisten hätten keine passenderen Schauspieler gewählt werden können. Scarlett Johansson als Charlotte überzeugt durch ihre natürliche Art. Sie wirkt erfrischend echt und setzt ihre Emotionen sehr reduziert ein, was ihr eine sympathische Kühle verleiht, sie aber trotzdem verletzlich erscheinen lässt. Keine Geste ist zu viel, oft deutet sie nur an. Um Bill Murray als Bob musste Sophia Coppola kämpfen. Was verständlich ist, Murray spielt hervorragend und mit seiner typischen Mimik erhält die Tragikomik im Film zusätzlich eine pikante Würze.
Fast kein Happy End
Sophia Coppola glückt mit Lost in Translation ein feiner, ungewöhnlicher Film, der nachwirkt. Übrigens gibt es zwar kein Happy End, aber einen Kompromiss: einen Kuss. Was Bob Charlotte danach ins Ohr flüstert, bleibt ein Geheimnis, womit die Spannung bis zum Schluss aufrecht erhalten wird. Bob steigt ins Taxi, lässt Charlotte alleine zurück. Der Jetlag ist überstanden, das Leben geht weiter. Zurück bleibt die Erinnerung und das Warten auf eine nächste Auszeit.
Lost in Translation, Regie: Sophia Coppla, USA/Japan, 2003, 102‘‘