Kleiderkauf
Es war wieder so weit. Jeden Herbst kaufte ich Herbst- und Winterkleider für meine Töchter. Freiwillig wäre ich nie in jenes Einkaufszentrum betreten, stünde da nicht dieser günstige Kinderkleiderladen und lockte mit seinem tollen Angebot.
Ich holte meine Mädchen direkt nach der Schule ab und wir fuhren die 30 Minuten zum Paradies der günstigen Kinderkleider. Unterwegs kaufte ich uns noch ein paar Brötchen und so kamen wir satt, zufrieden und -noch- guten Mutes an.
Die Kinder spielten noch eine Weile vor dem Eingang, während ich die ersten Hosen heraussuchte.
Ich krempelte meine Ärmel hoch. So, nun ging’s los.
«Kinder, kommt jetzt anprobieren!», rief ich möglichst autoritär.
Natürlich brauchte es drei Anläufe, bis sie reagierten. Sie spielten lachend zwischen den Kleiderständern Fangen und näherten sich nur langsam der Garderobe. Endlich standen sie vor mir.
A schaute die Hose an, die ich für sie gewählt hatte.
«Ja, die ist schön, die nehme ich.»
«Eh, du musst sie zuerst anprobieren, ob sie dir auch passt.»
«Nö.» Sie verschränkte die Arme.
Möglichst ruhig, innerlich schon am Zähneknirschen, erklärte ich ihr, dass es gerade bei Hosen sehr wichtig sei, sie zuerst anzuprobieren. Nur hinhalten und sagen, «das passt», reiche nicht.
«Aber, dann muss ich ja meine Schuhe und die Leggins ausziehen», maulte sie und verzog das Gesicht.
«Ja, das musst du. Anders geht es nicht.»
«Aber ich mag nicht.»
Atmen, Milena, atmen.
«Hör mal, es geht wirklich nicht anders. Sonst kriegst du keine neuen Kleider.»
Wir diskutierten noch eine Weile, bis A endlich doch einsichtig wurde und sehr langsam und unmotiviert begann, ihre Stiefel von den Füssen abzustreifen. Auch Y hatte ihre Schuhe bereits ausgezogen, ich war gottenfroh, machte wenigstens sie heute keine Szene.
A steckte inzwischen bis zu den Knien in der neuen Jeans.
«Mama, die passt mir nicht, die ist viel zu eng.»
Wütend strampelte sie die Hose von den Füssen.
Ich probierte ihr zu erklären, dass man nicht wirklich wissen könne, ob einem eine Hose passe, wenn man sie nicht mal bis zu den Knien hochzog.
«Nein, die geht mir nicht!» Sie funkelte mich an.
Ich seufzte.
«Dann probieren wir die nächste, hier.»
Y zupfte mich am Ärmel.
«Mama?»
«Wart kurz, A probiert grad die Hose …»
« … die will ich aber nicht probieren!», unterbrach jene mich.
«Maaami!?» Y zupfte jetzt stärker.
«Jetzt wart doch mal, bin gleich bei dir!»
«Die ist hier so weit und oben so komisch, die will ich aber nicht anziehen!»
A warf die Hose in die Garderobenecke.
«MAMI!»
«Was ist denn, Y!?»
«Ich muss Kacka!»
«Dann musst du’s halt noch etwas halten», entfuhr es mir, «es gibt kein WC hier.»
«Aber ich muss dringend», sie schaute mich mit grossen Augen an.
A stand abwartend in den Unterhosen da. Rechts und links Kleiderberge.
Wie ich diese Momente liebte.
«Ok, A, mach du mal weiter mit Anprobieren.»
Sie nickte, legte sich auf den Boden und nutzte einen Kleiderhügel als Kopfkissen.
Ich zog den Vorhang zu, hauptsachte sie blieb ruhig.
«So, wir suchen jetzt eine Toilette.» Ich nahm Y an der Hand und blickte auf ihre Socken.
«Schuhe solltest du schon anziehen.»
Sie gehorchte, ging nochmals in die Garderobe und zog ihre Schuhe über, während A gedankenverloren auf dem Rücken lag und mit einem Kleiderbügel spielte.
Die Verkäuferin schickte uns nach links in den 1. Stock, dort sollte es ein Kunden-WC haben.
Es gab zwar einen Lift, aber der war wegen Bauarbeiten nicht in Betrieb.
Treppenhaus, wo war das Treppenhaus?
Nix.
Ok, weiter.
Y trottete wie ein braves Lämmchen neben mir her – ich glaube, sie war anderweitig konzentriert.
Nächster Lift, endlich!
Ich hielt die Luft an. Auch hier – wegen Renovationsarbeiten gesperrt.
Zum Glück fand ich hier das Treppenhaus und schaute beim Öffnen der Türe in das erstaunte Gesicht eines Handwerkers, der soeben den Boden neu machte. Also auch hier kein Durchgang. Mist.
«Geht’s noch? Wir müssen leider zurück, auch hier kommen wir nicht rauf.»
«Ja.»
Was für eine tapfere Tochter ich doch hatte.
Gut, zurück zum ersten Lift, da musste es doch auch ein Treppenaufgang in der Nähe haben! Tatsächlich, gefunden! Und die Treppe war offen, Yippie! Was für ein Erfolgserlebnis, als endlich die vollautomatische Toilettentüre vor uns aufglitt. Aus lauter Siegesfreude setzte ich mich gleich auch auf die Schüssel.
Verrichteter Dinge kamen wir fünf Minuten später wieder in der Garderobe an und trafen auf eine strahlende A.
«Ich hab alles probiert und es passt alles, sogar die enge Hose!»
Ich entschied mich, ihr zu glauben und kaufte den ganzen Kleiderhaufen.